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Donnerstag, 14. August 2014, 6:15 Uhr. Der Wecker klingelt. Schlaf war eher mittelmäßig. Während der eine Teil einer Jugendgruppe in unserem Matratzenlager bis spät in die Abendstunden Pokemon (ernsthaft jetzt.) gespielt hat, muss der Rest noch Clubbing gewesen sein. Oder so. Die haben nämlich erst in tiefster Nacht (Anm. d. Red: beginnt auf Hütten i.d.R schon ab 22 Uhr) den Weg zur Schlafstätte gefunden. Und hatten dabei noch ordentlich Kommunikationsreserven über.
Es beginnt das allmorgendliche Hüttenritual, wie wir es die kommenden Tage wieder und wieder zelebrieren werden: Waschräume aufsuchen, Hüttenschlafsack in seine Tasche zwängen, Wanderuniform anlegen, Rucksack nach Schema F packen, Rucksack wieder auspacken weil das doofe Mikrofaserhandtuch noch am Haken zum trocknen hing und das doch laut Schema F nach ganz unten muss, Rucksack wieder einpacken, den Gastraum aufsuchen um irgendetwas in den Magen zu bekommen, Rucksack nochmal auspacken weil die Wanderkarte noch irgendwo vergraben ist, Rucksack aufsatteln und schließlich den Weg zum Trockenraum einschlagen.
Ach ja, die Feuchthöhle der Trockenraum. Da steht ein amtlicher Bautrockner vor der Tür. Den hat der Hüttenwirt wohl in weiser Voraussicht am Vorabend noch aufgestellt. Gebracht hat es leider nicht viel, mein Regenkostüm ist immer noch klamm. Aber: Es regnet ja gar nicht 🙂 Noch zumindest. Es ist 7:2o Uhr, als wir abmarschbereit vor der Kemptner Hütte stehen. Noch mal durchzählen und los geht’s.
Der Tag beginnt mit gemütlichem Frühsport. Die ersten 30 Minuten steigen wir 130 Höhenmeter auf, ehe wir das Mädelejoch und damit die Österreichische Grenze erreichen. Wir blicken kurz zurück und winken noch mal. Tschüß Schland, mach’s gut, bis bald.
Vor uns liegt der erste längere Abstieg unserer Tour, der in der 414 Seelen-Gemeinde Holzgau sein Ende findet. Ich spekuliere auf ein Croissant. Auch wenn ich das zugegebenermaßen selbst etwas dekadent finde. Wir sind ja hier nicht beim Genusswandern. Doch zwischen dem Croissant und mir liegen noch gute 870 Höhenmeter. Damit hätte ich es mir eigentlich verdient, denke ich mir.
Der Weg geht sich prima. Links von uns donnert der Höhenbach hinunter, die sich schnell wandelnde Landschaft trägt uns förmlich zur Unteren Roßgumpenalm. Da hier allerdings kaum Croissants auf dem Speisezettel stehen werden, lassen wir diese rechts liegen und bleiben streberhaft auf Kurs. Allerdings werde ich kurz darauf an einem Wasserfall schwach.
Als unser Weg den Höhenbach überquert, gibt es die Möglichkeit flussaufwärts zu einem Wasserfall zu gehen. Ein kleiner Trampelpfad führt bis auf etwa 15 oder 20 Meter an diesen heran. Ich muss näher ran und taste mich über nasse Steine vorsichtig weiter. Etwa 5 Meter trennen mich schließlich von der faszinierenden Wasserwand. Die Wasserfeinstaubbelastung steigt, es windet spürbar und ich bin trotz widriger Wetterumstände kurz dazu verlockt in das Wasserfallauffangbecken zu springen.
Wohl wissend, dass das möglicherweise unter Umständen gegebenenfalls nicht die klügste aller Entscheidungen wäre und ich im Laufe des Tages noch mehr Wasser von oben abbekommen könnte als mir lieb ist, verwerfe ich den Gedanken schweren Herzens und kehre zu meiner Reisegruppe zurück. Next Stop: Café Uta. Café? Höre ich da etwa ein Croissant?
Falsch gehört: In großen Buchstaben prangt das Wort „Jausenstation“ an der Hütte. Es gibt zwar Kuchen, aber ein Kuchen ist eben kein Croissant. Am Café Uta haben wir die Möglichkeit uns für eine Variante zu entscheiden: Rechts geht der Weg über den Simms-Wasserfall, links über die mit 200,5 Metern Länge (zum Zeitpunkt) längste Seilhängebrücke Österreichs. Schon zu Hause hatten wir uns während der Tourenplanung für die Brücke entschieden und halten uns somit an der Weggabelung links. Es folgt ein kurzer Anstieg, ehe wir rechts abbiegen und über ein paar Serpentinen zur Brücke hinuntersteigen.
Bis zu 105 Metern tief blickt man durch Gitterroste auf den offiziellen Wegverlauf des E5. Ganz schön schaukelige Angelegenheit, so dass man manchmal versucht ist sich am Gelände festzuhalten. Sobald überquert, ist es nur noch ein kurzer Abstieg bis nach Holzgau und man kommt direkt am Gasthof Bären an, dem Treffpunkt für das E5-Taxi. Wir kümmern uns im örtlichen Supermarkt jedoch erst mal um Verpflegung. Die mitgebrachten Vorräte sind aufgebraucht, ich decke mich mit ein paar Riegeln und etwas Wurst ein. Und zu so einer Wurst gehört ja auch eine frische Semmel. Auf zum Bäcker!
Kurz vor dem morgigen Feiertag (Maria Himmelfahrt) ist die Auslage beim Bäcker allerdings nur noch spärlich bestückt: Keine Croissants. Damit beantwortet sich meine Gewissensfrage von selbst und ich bleibe bei meinen Brötchen. Die schmecken schließlich auch.
Von Holzgau aus dauert der Weg zur Materialseilbahn der Memminger Hütte per Fuß etwa 4,5 Stunden. Man kann sich auch mit dem E5-Taxi komplett kutschieren lassen, um die sehr lange Tagesetappe (ca. 9,5 Stunden reine Gehzeit) abzukürzen. Auch hier hatten wir im Vorfeld demokratisch abgestimmt: Wir fahren zumindest ein Stück mit bis zum Berggasthof Hermine, was uns 3 Stunden Gehzeit erspart.
Drei Taxen sind an dem Tag unterwegs. Die Kleinbusse werden immer komplett mit Wanderern vollgemacht, bevor sie die Reise antreten. Wir warten über eine Stunde, bis wir um 12:45 Uhr endlich an der Reihe sind. Unser Taxifahrer ist eine Nummer für sich. Am Rückspiegel hängt das Bildnis einer leicht bekleideten Dame, zur Unterhaltung erzählt er seine Lebensgeschichte und Witze am Fließband: Warum kommt der Busfahrer in den Himmel, der Pfarrer nicht? Weil beim Pfarrer immer alle schlafen, während beim Busfahrer alle beten. Noch einer: Heute habe ich meine Brille vergessen. (Das war doch hoffentlich ein Witz?)
Der Mann ist Baujahr 1934 (!), ehemaliger Seemann und fährt in zügigem Tempo den Berg hoch, während links der Abgrund gähnt. Ich habe einen Fensterplatz und erahne nur wie wenig Platz da noch zur Seite ist. Die Straße sehe ich jedenfalls nicht mehr, nur noch den steilen Abhang. Ich fange das Beten an, schließlich soll es nicht an mir gelegen haben, wenn dem guten Mann der Himmel verwehrt wird.
Es scheint zu helfen: Wir erreichen die Hermine unfallfrei. Unterwegs hat Regen eingesetzt hat und wir schlüpfen wir unsere Regenkleidung, während vom Bergheim urige Musik nach draußen schallt. Da scheint einiges zu gehen. Draußen feucht, drinnen fröhlich. Vielleicht auch feucht-fröhlich. Feucht-fröhlich geht es jedenfalls für uns weiter. Allerdings zeigt sich das Wetter gnädig und nach einer halben Stunde lässt der Regen bereits deutlich nach.
Um 14:15 Uhr passieren wir die Materialseilbahn. Wer möchte, kann hier seinen Rucksack deponieren und gegen eine Gebühr zur Hütte transportieren lassen. Da ich heute schon auf mein Croissant verzichten musste, verzichte ich auch auf diesen Luxus. Wir überqueren den Parseierbach und nehmen den finalen Tagesanstieg in Angriff: Von 1449 m auf 2242 m. In Kehren steigen wir in einer rutschigen Schlammschlacht den Weg auf, bis wir ein Wiesengelände mit wunderschönen Rastplätzen erreichen. Nur mag sich bei der Nässe heute keiner zum Pausieren hinsetzen. Außerdem lockt im Hintergrund eine hübsche Steilstufe, über die der Seewiseebach stürzt. Und diese gilt es zu erklimmen.
Oben angekommen, müssen wir einmal mehr innehalten und uns umdrehen, um das großartige Gipfelschauspiel der Allgäuer und Lechtaler Berge im Norden zu bewundern. Wir setzen unseren Weg gen Süden fort und treten bald in einen gewaltigen Kessel, der zu Fuße der Memminger Hütte liegt. Es ist 16:45 Uhr, als wir unsere Wanderstiefel abstreifen.
Als am Abend nach einer leckeren Portion Spaghetti zum ersten Mal die Sonne durchbricht und die Gipfel der umliegenden Berge bestrahlt, muss ich nochmal raus. Bei einem kleinen Spaziergang zum Seewisee hinter der Hütte erblicke ich am steilen Berg die ersten drei Gämsen dieser Tour. Jetzt bin auch ich definitiv in den Alpen angekommen.
Zum Weiterlesen und Mitkommen: Tag 3 unserer Alpenüberquerung