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„Schier endlos“, „zäh“ oder „legendär“. Mit diesen Worten wurde der Abstieg von der Seescharte nach Zams bei unseren Vorbereitungen immer beschrieben: Knapp 2.000 (in Worten: Zweitausend!) Höhenmeter Abstieg. Der ultimative Knietest. Ich meine aber auch über Attribute wie „schön“, „umwerfend“ oder „landschaftlich reizvoll“ gestolpert zu sein und klammere mich daran fest, als ich morgens um 5:45 Uhr beschwingt aus meinem Hüttenschlafsack stolpere. Es ist Freitag, der 15. August. Maria Himmelfahrt.

Morgenstimmung

Wir benötigen wieder exakt eine Stunde für unser Morgenritual: Waschräume aufsuchen, anziehen, Rucksack packen, einen Kaffee in der Gaststube schlürfen und Wanderstiefel schnüren. Um 6:45 Uhr stehen wir vor der Memminger Hütte. Es scheint über Nacht geregnet zu haben und die Wolken hängen tief, aber es ist trocken als wir uns auf den Weg von der schönen Ebene rund um die Memminger Hütte in Richtung Seescharte aufmachen.

Aufstieg von der Memminger Hütte zur Seescharte

Der einzige Aufstieg des Tages führt uns an den drei Seewiseen vorbei. Die Seen sind Überbleibsel von Gletschern, welche noch vor gut 100 Jahren hier oben lagerten. Ein überaus schöner Weg, der einen immer wieder zum innehalten und staunen zwingt. Auf 2.500 m treffen wir auf Neuschnee. Was noch in der Nacht an der Hütte als Regen runterkam, ist hier oben schon zu Schnee kristallisiert. Die letzten Meter bis zur Seescharte sind seilversichert und als die ersten Wandersleute vor uns sie überqueren, geht plötzlich ein raunen durch die Gruppe.

Seekogel, Unterer Seewisee und Memmiger Hütte  DSC_6748

Und tatsächlich. Als auch wir uns um 8 Uhr über die Scharte heben, passiert es: BOOOOOM! Weitblick! Und was für einer. Nicht nur wir könnten ein bisschen schreien und flippen innerlich aus. Zwei Tage lang haben die Wolken uns den Blick verwehrt, jetzt gewähren sie uns ein großartiges Schauspiel mit Wolken im Tal, der Bergkette im Hintergrund und sonnendurchfluteten Wolken darüber.

Ausblick von der Seescharte mit Silberspitze

Wir verweilen noch ein wenig, ehe wir uns der Tagesaufgabe stellen: Ein ganzer Sack voll Abstieg. Ich packe die Stöcke aus – meine Knie werden es mir noch danken – und mit der wunderhübschen Silberspitze vor unserer Nase machen wir uns frohen Mutes auf den Weg. Dieser ist steil, steinig und von Serpentinen durchzogen. Aber er bringt uns, beidseitig begleitet von Bächen, sicher zur bewirtschafteten Oberlochalm.

Doro feiert das grüne Lochbachtal

Jausenzeit! Es ist ca. halb 10 und da ich auf der Hütte nichts gefrühstückt habe bin ich gewillt 9 € für eine überschaubare Brettljause zu zahlen. Aber hey. Sie macht satt. Es ist ein Frühstück in einem unbezahlbaren Ambiente. Und Alpenüberquerung ist schließlich nur einmal im Jahr.

Brotzeit an der Oberjochalm

Den beiden Hüttenhunden scheinen übrigens die Steine dort hervorragend zu munden. Einmal in die Schnauze genommen, lassen sie ihren treudoofen Blick nicht mehr von einem ab bis man sich schließlich erbarmt und den Stein in die Ferne wirft. Kaum geschehen, geht die Post ab und die beiden stürzen hinterher. Blöd nur, dass der Stein zwischen ganz viele andere gefallen ist. Wie soll man den denn da wieder finden? Egal, da kommt ja schon wieder ein neuer geflogen!

Gestärkt geht es weiter. Es folgt ein flach abfallender Abschnitt, für mich persönlich eines von vielen Highlights auf der Alpenüberquerung, dass mir sehr imponiert hat: Der Weg durch das grüne Lochbachtal. Umwerfend schön, ein Hauch von Kanada, begleitet vom Lochbach, die Silberspitze immer vor Augen. Da hoch würde mich ja auch mal reizen, ist aber bestimmt nicht ohne. Unterwegs kniet ein Mann am Wegesrand, das Spektiv auf seiner grünen Jägerjacke auf einem Steinbrocken abgelegt: „Ist da was unterwegs?“ „Ja, eine Gämse. Alte Dame, ohne Kinder. Die nehm‘ ich mir mit nach Hause!“ Maaaaah. Muss das sein? Andere Diskussion. Nicht fürs Hier, nicht fürs Jetzt.

Der Weg durch das Lochbachtal mit vernebelten Blick auf die Silberspitze

Wir durchqueren ein Waldstück, kommen an die Unterlochalm und steuern auf das Zammer Loch zu, wo uns am Eingang bereits ein Schild auf die Gefahren des Steinschlags hinweist. Durch das Zammer Loch führt ein in den Fels gesprengter Steig, zu dessem Fuße in beeindruckender Tiefe der Lochbach strömt. Der Weg ist zwar nicht unmöglich schmal, nebeneinander laufen wäre hier allerdings schon ziemlich grenzwertig. Umso beeindruckender ist es, dass über diesen Steig im 19. Jahrhundert noch der Almauf- und abtrieb stattfand. Da der Weg sehr gefährlich ist, wurde pro Rind ein Treiber abgestellt. Ich bin schon mit mir selbst beschäftigt und bin froh dass ich keine Kuh vor mir hertreiben muss. Die Mädels laufen übrigens hinter mir. Aber das nur so als Randnotiz und ohne jegliche Zusammenhänge zu dem eben erzählten.

Aus der Serie "Letzte Fotos" - Steinschlaggefahr im Zammer Loch

Wir kommen gut voran, als dann doch noch der Regen einsetzt. Macht nichts, das halten unsere Regenjacken locker aus. Unten im Tal ist Landeck zu unserer rechten schon länger in Sicht, schließlich taucht auch Zams auf. Die Prophezeiungen bewahrheiten sich. Die letzte Stunde des Abstiegs ist so dermaßen „zäh“ dass ich mir ein Lachen nicht verkneifen kann. Und dann noch dieser blöde Nieselregen. Fies! Aber so dermaßen. Als der „schier endlose“ Abstieg dann tatsächlich irgendwann ein Ende findet und wir gegen 13:45 Uhr in Zams einlaufen, verabschiedet sich auch der Regen. Als wollte er nur für unsere Unterhaltung beim Abstieg sorgen. Das alte Sackgesicht, wie ich ihn liebevoll nenne.

Doro im Zammer Loch Der Boden des Zammer Lochs ist nur selten zu sehen

In Zams machen wir einen kurzen Stopp an einer Tankstelle um unsere Snack-Bar wieder aufzufüllen, dann geht es weiter zur Venetbahn. Im Vorfeld haben wir bereits die Venet Gipfelhütte als Nächtigungsstätte auserkoren. Denn die erste Bergfahrt geht erst um 8:30 Uhr morgens. Und wir möchten am Folgetag bereits etwas früher starten, um ein weiteres Verkehrsmittel zu erwischen. Eingecheckt wird dort direkt an der Talstation, dann bringt uns die Gondel zur Hütte. Wobei unter Hütte hier eine Mischung aus Hotel und Jugendherberge zu verstehen ist. Mit angeschlossenem SB-Restaurant. Einer großartigen Aussicht. Und warmen Duschen. Was für ein Luxus! Fast schon dekadent. Eine urige Berghütte wäre mir zugegebenermaßen lieber… Dafür gibt es hier Blickkontakt mit dem ersten Murmeltier dieser Tour.

Murmeltier

Spätestens heute bekommen wir die Reizüberflutung zu spüren. Die Eindrücke brechen nur so auf uns ein, es fällt uns schwer sich an die Ereignisse des Vortages zu erinnern. Wir rasen mit Riesenschritten über die Alpen und stellen ein wenig erschrocken und mit Bedauern fest: Es ist Halbzeit!

Zum Weiterlesen und Mitkommen: Tag 4 unserer Alpenüberquerung